Der kalte Zuckerguss

Raureif überzieht alle Oberflächen und lässt sie wie eingefroren erscheinen.
Wenn feuchte Luftmassen aus Osten, versehen mit einer leichten Windbrise auf die winterlichen Temperaturen des Waldviertels treffen, passiert die Magie. Allerdings nicht auf den sonnigen Hochebenen, in 600 oder 700 Meter Seehöhe, sondern weiter unten, auf 300 bis 400 Meter. Dort, wo es im Winter häufig neblig ist und dort, wo sich auch der Nationalpark Thayatal befindet.
Hier bildet sich der Raureif, der Blätter, Äste und Borken mit vielgestaltigen Eiskristallen komplett überzieht. Um diesen kalten Zuckerguss entstehen zu lassen, sind allerdings hohe Luftfeuchtigkeit und deutliche Minusgrade notwendig. Letztere bewirken, dass sich die Luftfeuchte, sprich der Wasserdampf in der Luft, unterkühlt. Und wenn dieser unterkühlte Wasserdampf erstarrt, haben wir es mit Raureif zu tun. Interessant ist bei diesem Prozess, dass ein Aggregatzustand einfach übersprungen wird. Der gasförmige Wasserdampf geht unmittelbar in den festen Zustand, den Raureif, über, ohne zunächst flüssig zu werden.



Dieses Phänomen, genannt Resublimation, findet sich übrigens auch bei jedem zu Hause, im Gefrierfach eines Kühlschranks. Beim Öffnen des Gefrierfachs setzt sich der einströmende Wasserdampf an den kalten Wänden in Form fester Kristalle ab, ohne dass sich zunächst flüssiges Wasser ausbildet. So entsteht - mit der Zeit - ein vereistes Kühlfach.

Aber zurück zum Raureif. Der tritt vergleichsweise selten auf und wird oft mit dem Reif verwechselt, der jedoch bei sehr ähnlichen Bedingungen entsteht.
Von Reif spricht man in der Regel dann, wenn es sich um Eiskristall-Ablagerungen in bodennahen Schichten bis etwa zwei Meter Höhe handelt. In erster Linie setzt er sich also auf Wiesen, Sträuchern, an der Basis von Baumstämmen und auf anderen nicht zu hoch gelegenen Strukturen und Gegenständen ab. Die Eiskristalle bilden meist schuppenförmige Schichten, mitunter lassen sich aber auch feder- und nadelförmige Kristalle beobachten.
Im Gegensatz dazu tritt Raureif vor allem dann auf, wenn der Wind ein wenig nachhilft. Unterkühlter Wasserdampf, der von einer leichten Brise oder sogar von starkem Wind gegen Bäume, Pflanzen, Stromleitungen, Zäune und andere exponierte Oberflächen geweht wird, führt zur Bildung von Raureif. Dort kristallisiert der Wasserdampf aus und bildet mitunter ganz bizarre Strukturen wie spitze Nadeln, wehende Fahnen, fächerförmige Zapfen, federähnliche Auswüchse oder baum- und strauchartige Gestalten. Dabei wachsen die Eiskonstrukte vor allem entgegen der Windrichtung, weil die luvseitig ankommende Luft - Luv ist die dem Wind zugekehrte Seite - wesentlich mehr Feuchtigkeit enthält als im Lee - der Wind abgewandten Seite.
Je dicker die Eiskristall-Schichten werden, desto größer wird freilich auch die Belastung für die Pflanzen. Mitunter können deswegen sogar ganze Äste unter der Last des Raureifs zusammenbrechen.



Wenn von ganzen Ästen die Rede ist, dann kann eigentlich nur der Raureif seine Eiskristalle im Spiel haben. Aber ganz egal ob nun Reif oder Raureif, die Übergänge in der Natur sind wie immer fließend. Scharfe Abgrenzungen kennt auch das Waldviertel nicht, aber es kennt sehr wohl die weiße Eiskristall-Pracht im Winter. Wenn die Temperaturen tief fallen, die Luft genug Feuchtigkeit im Gepäck hat und der Wind ein wenig mitmischt, dann hat der Raureif wieder seinen großen Auftritt.
Jetzt gerade erstrahlt das Thayatal im Raureif-Mantel. Für die nächsten Tage verspricht die Wettervorhersage allerdings wärmere Temperaturen. Deshalb heißt's schnell sein bzw. die Wetterprognosen im Auge behalten!
21.12.2013

Nationalpark Thayatal Blog